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Strophen zu einer Fest-Musik

(für Sidie Nadherny)

Wohin reicht, wohin die Stimme der Menschen
wenn sie emporklingt? Schwingen,
schwingen die Himmel von ihr? Oder verbringt sie
immer ein schwindender Wind?
Heute steh ich, steh auf den Türmen der Freude,
heut heut ficht michs nicht an, dass ich vergehe.
Heut ruf ich einen der Rufe. Heut bin ich
ein goldener Leuchter der Stimme.

Diese ist hoch und schöngewachsen. Kein Palmbaum
teilt sich reiner hinan. Und sicher steigt sie, wie immer
seiend. Nur drunter
wechseln die Munde.

Einige stehen so, Gesänge der Menschheit
immer im Gleichgewicht; ruhen
ohne zu schwanken auf unaufhörlich
Anderen auf. O hohe

Säule der Hochzeit, erhabene. Heut über meinem
tragenden Herzen. Wie, wie
brichst du das Schweigen
meiner Toten und meins.

Welche springen zu dir, von anderen Säulen, Bogen herüber -
welche? Ich weiß nicht. Aber ich fühle, dass du
oben Gewölbe empfängst.


Rainer Maria Rilke, 10.3.1915, München
Das Inselschiff 17 (1936)