Dass ich dereinst, an dem Ausgang der grimmigen Einsicht
Jubel und Ruhm aufsinge zustimmenden Engeln.
Dass von den klar geschlagenen Hämmern des Herzens
keiner versage an weichen, zweifelnden oder
jähzornigen Saiten. Dass mich mein strömendes Antlitz
glänzender mache; dass das unscheinbare Weinen
blühe. O wie werdet ihr dann, Nächte, mir lieb sein,
gehärmte. Dass ich euch knieender nicht, untröstliche Schwestern,
hinnahm, nicht in euer gelöstes
Haar mich gelöster ergab. Wir Vergeuder der Schmerzen.
Wie wir sie absehn voraus in die traurige Dauer,
ob sie nicht enden vielleicht. Sie aber sind ja
Zeiten von uns, unser winter-
währiges Laubwerk, Wiesen, Teiche, angeborene Landschaft,
von Geschöpfen im Schilf und von Vögeln bewohnt.
Oben, der hohen, steht nicht die Hälfte der Himmel
über der Wehmut in uns, der bemühten Natur?
Denk, du beträtest nicht mehr dein verwildertes Leidtum,
sähest die Sterne nicht mehr durch das herbere Blättern
schwärzlichen Schmerzlaubs, und die Trümmer von Schicksal
böte dir höher nicht mehr der vergrößernde Mondschein,
dass du an ihnen dich fühlst wie ein einstiges Volk?
Lächeln auch wäre nicht mehr, das zehrende derer,
die du hinüberverlorest -, so wenig gewaltsam,
eben an dir nur vorbei, traten sie rein in dein Leid.
(Fast wie ein Mädchen, das grade dem Freier zusprach,
der sie seit Wochen bedrängt, und sie bringt ihn erschrocken
an das Gitter des Gartens, den Mann, der frohlockt und ungern
fortgeht: da stört sie ein Schritt in dem neueren Abschied,
und sie wartet und steht und da trifft ihr vollzähliges Aufschaun
ganz in das Aufschaun des Fremden, das Aufschaun der Jungfrau,
die ihn unendlich begreift, den draußen, der ihr bestimmt war,
draußen den wandernden Andern, der ihr ewig bestimmt war.
Hallend geht er vorbei.) So immer verlorst du;
als ein Besitzender nicht: wie sterbend einer,
vorgebeugt in die feucht herwehende Märznacht,
ach, den Frühling verliert in die Kehlen der Vögel.
Viel zu weit gehörst du in's Leiden. Vergäßest
du die geringste der maßlos erschmerzten Gestalten,
riefst du, schrieest, hoffend auf frühere Neugier,
einen der Engel herbei, der mühsam verdunkelten Ausdrucks
leidunmächtig, immer wieder versuchend,
dir dein Schluchzen damals, um jene, beschriebe.
Engel wie wars? Und er ahmte dir nach und verstünde
nicht dass es Schmerz sei, wie man dem rufenden Vogel
nachformt, die ihn erfüllt, die schuldlose Stimme.
Rainer Maria Rilke, Anfang 1912, Duino (Verse1-15), Spätherbst 1913, Paris
Gedichte 1906 bis 1926.
(Sammlung der verstreuten und nachgelassenen Gedichte aus den mittleren und späten Jahren.)