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Wer verzichtet, jenen Gram zu kennen

Wer verzichtet, jenen Gram zu kennen,
welcher schluchzend wie aus Quellen quillt,
weiß auch nicht das Selige zu nennen:
es berührt ihn und entgeht ihm mild.

Wir nur, die wir ganz am Herzen lagen
der Verlorenen, die Gott gefällt,
werden wissen alles aus-zusagen,
wenn die Freude nicht mehr an sich hält.

Jedes Leere, jeder Zwischenraum
dunkler Stunden wird zum hohlen Kruge,
wird zur Muschel, dran die Fuge
dröhnen wird. Wir ahnen kaum,

wie wir uns nach unermessnem Rate
um zur Orgel bauen, horchend, leis,
für den Sturm der kommenden Kantate
und den Engel, der sie plötzlich weiß.

Rainer Maria Rilke, März und April 1913, Paris
Gedichte 1906 bis 1926.
(Sammlung der verstreuten und nachgelassenen Gedichte aus den mittleren und späten Jahren.)