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Der Sohn

Mein Vater war ein verbannter
König von überm Meer.
Ihm kam einmal ein Gesandter:
sein Mantel war ein Panther,
und sein Schwert war schwer.

Mein Vater war wie immer
ohne Helm und Hermelin;
es dunkelte das Zimmer
wie immer arm um ihn.
Es zitterten seine Hände
und waren blass und leer, -
in bilderlose Wände
blicklos schaute er.

Die Mutter ging im Garten
und wandelte weiß im Grün,
und wollte den Wind erwarten
vor dem Abendglühn.
Ich träumte, sie würde mich rufen,
aber sie ging allein, -
ließ mich vom Rande der Stufen
horchen verhallenden Hufen
und ins Haus hinein:

Vater! Der fremde Gesandte...?
Der reitet wieder im Wind...
Was wollte der? Er erkannte
dein blondes Haar, mein Kind.
Vater! Wie war er gekleidet!
Wie der Mantel von ihm floss!
Geschmiedet und geschmeidet
war Schulter, Brust und Ross.
Er war eine Stimme im Stahle,
er war ein Mann aus Nacht, -
aber er hat eine schmale
Krone mitgebracht.
Sie klang bei jedem Schritte
an sein sehr schweres Schwert,
die Perle in ihrer Mitte
ist viele Leben wert.
Vom zornigen Ergreifen
verbogen ist der Reifen,
der oft gefallen war:
es ist eine Kinderkrone, -
denn Könige sind ohne;
- gieb sie meinem Haar!
Ich will sie manchmal tragen
in Nächten, blass vor Scham.
Und will dir, Vater, sagen,
woher der Gesandte kam.
Was dort die Dinge gelten,
ob steinern steht die Stadt,
oder ob man in Zelten
mich erwartet hat.

Mein Vater war ein Gekränkter
und kannte nur wenig Ruh.
Er hörte mir mit verhängter
Stirne nächtelang zu.
Mir lag im Haar der Ring.
Und ich sprach ganz nahe und sachte,
dass die Mutter nicht erwachte, -
die an dasselbe dachte,
wenn sie, ganz weiß gelassen,
vor abendlichen Massen
durch dunkle Garten ging.

                                    ---

... So wurden wir verträumte Geiger,
die leise aus den Türen treten,
um auszuschauen, eh sie beten,
ob nicht ein Nachbar sie belauscht.
Die erst, wenn alle sich zerstreuten,
hinter dem letzten Abendläuten,
die Lieder spielen, hinter denen
(wie Wald im Wind hinter Fontänen)
der dunkle Geigenkasten rauscht.
Denn dann nur sind die Stimmen gut,
wenn Schweigsamkeiten sie begleiten,
wenn hinter dem Gespräch der Saiten
Geräusche bleiben wie von Blut;
und bang und sinnlos sind die Zeiten,
wenn hinter ihren Eitelkeiten
nicht etwas waltet, welches ruht.

Geduld: es kreist der leise Zeiger,
und was verheißen ward, wird sein:
Wir sind die Flüstrer vor dem Schweiger,
wir sind die Wiesen vor dem Hain;
in ihnen geht noch dunkles Summen -
(viel Stimmen sind und doch kein Chor)
und sie bereiten auf die stummen
tiefen heiligen Haine vor...


Rainer Maria Rilke, I: 1.10.1900, Worpswede, II: 12.4.1900, Berlin-Schmargendorf