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Obwohl ein jeder von sich strebt

Und doch, obwohl ein jeder von sich strebt
wie aus dem Kerker, der ihn hasst und hält, -
es ist ein großes Wunder in der Welt:
ich fühle: alles Leben wird gelebt.

Wer lebt es denn? Sind das die Dinge, die
wie eine ungespielte Melodie
im Abend wie in einer Harfe stehn?
Sind das die Winde, die von Wassern wehn,
sind das die Zweige, die sich Zeichen geben,
sind das die Blumen, die die Düfte weben,
sind das die langen alternden Alleen?
Sind das die warmen Tiere, welche gehn,
sind das die Vögel, die sich fremd erheben?

Wer lebt es denn? Lebst du es, Gott, - das Leben?


Rainer Maria Rilke, 19.9.1901, Westerwede