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Mein Leben hat das gleiche Kleid und Haar

Mein Leben hat das gleiche Kleid und Haar
wie aller alten Zaren Sterbestunde.

Die Macht entfremdete nur meinem Munde,
doch meine Reiche, die ich schweigend runde,
versammeln sich in meinem Hintergrunde
und meine Sinne sind noch Gossudar.

Für sie ist beten immer noch: Erbauen,
aus allen Maßen bauen, dass das Grauen
fast wie die Größe wird und schön, -
und: jedes Hinknien und Vertrauen
(dass es die andern nicht beschauen)
mit vielen goldenen und blauen
und bunten Kuppeln überhöhn.

Denn was sind Kirchen und sind Klöster
in ihrem Steigen und Erstehn
als Harfen, tönende Vertröster,
durch die die Hände Halberlöster
vor Königen und Jungfraun gehn.


Rainer Maria Rilke, 2.10.1899, Berlin-Schmargendorf