Zurück zur Hauptseite

An den Jungen Bruder: Dann bete du...

An den jungen Bruder

Dann bete du, wie es dich dieser lehrt,
der selber aus der Wirrnis wiederkehrt
und so, dass er zu heiligen Gestalten,
die alle ihres Wesens Würde halten,
in einer Kirche und auf goldnen Smalten
die Schönheit malte, und sie hielt ein Schwert.

Er lehrt dich sagen:
       Du mein tiefer Sinn,

vertraue mir, dass ich dich nicht enttäusche;
in meinem Blute sind so viel Geräusche,
ich aber weiß, dass ich aus Sehnsucht bin.

Ein großer Ernst bricht über mich herein.
In seinem Schatten ist das Leben kühl.
Ich bin zum erstenmal mit dir allein,

du, mein Gefühl.
Du bist so mädchenhaft.

Es war ein Weib in meiner Nachbarschaft
und winkte mir aus welkenden Gewändern.
Du aber sprichst mir von so fernen Ländern.
Und meine Kraft
schaut nach den Hügelrändern.


Rainer Maria Rilke, 29.9.1899, Berlin-Schmargendorf