Einst war dies alles anders aufgeteilt:
durch jeden Vorgang gingen wache
schauende Götter; Gott-Wind bog die schwache
göttliche Dryas, und in jedem Bache
lag eine Nymphe, heiter übereilt.
Und wenn der Hirt in seiner Traurigkeit
das Rohr, das er sich zu lange zugeschnitten,
ansetzte -: oh wie wurde weit,
was ihm an Klage ausging, mitgelitten.
Nun fällt uns längst schon dieses alles zu:
dahinzuweben mit dem Hingewehten,
für einen Abend in den Baum zu treten
und in der Quelle tauschendem Getu
der Geist zu sein, den ihre Wirbel drehten.
Wir wurden mehr; wir wohnen in dem meisten,
das ahnend ein Entgangenes entbehrt;
doch: dass wir fast der Götter Leichtsein leisten,
hat uns das dumpfe Menschliche erschwert.
Rainer Maria Rilke, 5.1.1914, Paris
Gedichte 1906 bis 1926.
(Sammlung der verstreuten und nachgelassenen Gedichte aus den mittleren und späten Jahren.)